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Wenn die Geburt zum Trauma wird

Schwangerschaft

Wenn die Geburt zum Trauma wird

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    Wenn die Geburt zum Trauma wird
    Wenn die Geburt zum Trauma wird Foto: Gorodenkoff

    Ein Notkaiserschnitt. Genau das wollte Verena Reiser nicht. Doch es scheint nicht anders zu funktionieren, ihr Sohn muss schließlich auf die Welt. Ein Moment, der die Augsburgerin nach eigener Aussage überrollte, Zweifel in ihr weckte und sie noch sechs Jahre später beschäftigt. „Mein Körper hat die Geburt nicht geschafft. Diesen Gedanken hatte ich immer wieder“, sagt die 35-Jährige, die das Erlebte mittlerweile in einer Therapie aufgearbeitet hat.

    Wie ihr gehe es unzähligen Eltern, doch es werde zu wenig über traumatische Geburten und deren Folgen gesprochen, sagt Familienlotsin Sabine Weißinger von der koordinierenden Kinderschutzstelle (Koki) der Stadt Augsburg, die sogenannte Frühe Hilfen vermittelt: „Wenn ich Frauen kurz nach der Entbindung in der Klinik treffe, berichten sie oft davon, dass alles ganz anders war, als sie es wollten. Das kann ein erstes Anzeichen für ein Geburtstrauma sein.“

    Das sind Symptome eines Traumas

    2016 brachte Reiser ihren Sohn zur Welt. „Von Anfang an hatte ich viele Unsicherheiten.“ Das Stillen habe nicht wie erhofft funktioniert, die körperlichen Schmerzen nach der Entbindung kamen hinzu und ihr habe Energie gefehlt, erzählt Reiser. „Ich dachte, das liegt an den Hormonen.“

    Doch auch ein Jahr nach der Geburt fühlt sich die Augsburgerin noch „wie im Nebel“. Sie funktioniert einfach, so beschreibt sie es. Ihre Frauenärztin macht das hellhörig. „Sie hat mir empfohlen, mir Hilfe zu suchen.“ Reiser probiert verschiedene Anwendungen aus der Alternativmedizin aus und tatsächlich: Sie kämpft sich langsam zurück in den Alltag.

    Vier Jahre später ist sie wieder schwanger und freut sich auf die Geburt ihrer Tochter. Doch alte Ängste kommen wieder hoch. Wird es wieder ein Kaiserschnitt? Was, wenn sie wieder in ein Loch fällt? Reiser sagt: „Da wurde mir bewusst, dass ich mit den Erlebnissen der ersten Geburt noch nicht abgeschlossen habe.“

    Trauma beeinflusst nachfolgende Schwangerschaften

    Oft werde ein Geburtstrauma bei einer nachfolgenden Schwangerschaft wieder zum Thema, sagt Ingrid Notz, Leiterin des Allgäuer Hebammennetzwerks. Dann sei es wichtig, das Erlebte aufzuarbeiten. Zum Beispiel durch Gespräche mit Hebammen und Ärzten, die bei der Geburt dabei waren. Notz sagt: „Nur weil für uns Hebammen bei einer Geburt alles gut läuft, heißt das nicht, dass die Frau das genauso sieht.“ Auch wenn es Mutter und Kind medizinisch gut gehe, könne der seelische Zustand anders aussehen.

    Ein Gespräch mit ihrer Hebamme brachte auch für Sarah Hartmann (Name geändert) aus dem Landkreis Aichach-Friedberg den Wendepunkt nach der Geburt ihrer Zwillinge. „Ich habe mir selbst die Schuld gegeben, dass bei der Geburt nicht alles so lief, wie ich es mir für meine Kinder und mich gewünscht hatte“, sagt die 34-Jährige.

    Sie entband Anfang 2021 mitten im Corona-Lockdown. Das habe vieles schwieriger gemacht. Nicht nur ihr Ehemann, der wegen der Corona-Auflagen nicht mit in den Kreißsaal konnte, habe ihr gefehlt, auch die diensthabende Hebamme hätte sich wenig Zeit für sie genommen. „Ich habe mich allein gelassen gefühlt.“

    Ihr erstes Zwillingskind brachte Hartmann natürlich zu Welt, so wie sie es sich gewünscht und zuvor mit dem Klinikteam besprochen hatte. Dann musste alles schnell gehen: Das zweite Zwillingskind wurde per Notkaiserschnitt geholt. Hartmann glaubt, das hätte anders laufen können, wäre das Klinikteam im früheren Verlauf der Geburt mehr auf sie eingegangen: „Ich hatte das Gefühl, sie nehmen mich nicht für voll und hören mir nicht zu.“

    Selbsthilfegruppe bei Trauma

    Sowohl Hartmann als auch Reiser sprechen über das Erlebte in einer Selbsthilfegruppe des Vereins „Schatten und Licht“, der Eltern bei psychischen Erkrankungen nach einer Geburt berät. Birgit Mayr leitet die Treffen in Augsburg. Angst ums eigene Kind, Überforderung, es bereuen, Mutter geworden zu sein oder fehlende Freude am Familienleben, all diese Gedanken teilen Betroffene.

    „Die Frauen merken, dass sie nicht alleine sind und dass es in Ordnung ist, sich Hilfe zu holen“, erzählt Mayr. Neben Gesprächen in der Gruppe vermittelt der Verein Betroffenen einen Therapieplatz. Oft – aber nicht immer – hänge zum Beispiel eine Wochenbettdepression mit einer traumatischen Geburt zusammen. Auch Reiser war betroffen. „Ich habe mich aus dem tiefsten Loch gekämpft“, sagt sie. „Es gab einen Moment, da dachte ich, meine Kinder sind besser ohne mich dran. An diesen Punkt will ich nie mehr kommen.“

    Trauma bleibt oft unentdeckt

    Etwa vier Prozent der Mütter entwickeln laut der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) nach einer Entbindung Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung. Viele mehr seien von einem Geburtstrauma betroffen, das oft unentdeckt bleibt. Susanne Beck geht von einer hohen Dunkelziffer aus.

    Die Heilpraktikerin für Psychotherapie betreut Familien nach traumatischen Geburten. Dabei beziehe sie auch Geschwister und weitere Elternteile mit ein: „Auch Väter berichten oft, dass sie große Sorge um ihre Partnerin und ihr Kind hatten und nicht helfen zu können als belastend empfanden.“ Oft bestehe die Sorge, dass Bindung fehle, wenn ein Baby zum Beispiel direkt nach der Geburt intensiv betreut werden musste. Beck sagt: „Das Tröstliche ist, dass Bindung ein Leben lang möglich ist.“

    Gemeinsam mit Familienlotsin Weißinger besucht Beck Familien zu Hause. Weißinger sagt: „Je früher die Aufarbeitung beginnt, desto besser.“ Manche Eltern melden sich erst Jahre später bei Beratungsstellen. Zum Beispiel, wenn Kinder in der Schule Probleme haben. Dann komme nicht selten die Geburt und die Zeit danach wieder zur Sprache. „Viele Frauen, die von einem Geburtstrauma betroffen sind, denken, dass das eben dazugehört und sie jetzt stark sein müssen. Aber sie müssen keine Scheu haben, sich Hilfe zu holen“, sagt Weißinger.

    Auch bei Ängsten im Verlauf einer Schwangerschaft können sich Eltern an „Koki“ wenden. Kommunikation ist laut Weißinger der Schlüssel sowohl zur Vorbeugung als auch nach einem Geburtstrauma. Durch den Austausch mit ihrer Hebamme habe Reiser wieder Vertrauen in sich selbst gefunden. Die Mutter sagt: „Die zweite Geburt war heilsam für mich.“ (AZ)

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