Die Patientinnen und Patienten waren da, infiziert mit diesem neuartigen Virus, schlagartig schwer krank. Irgendwas musste man tun. Aber was? Wenn André Fuchs von damals spricht, vom Frühjahr 2020, dann scheint die Erinnerung einer anderen Zeitrechnung zu entspringen.
Heute ist der 41-Jährige Oberarzt an der Augsburger Uniklinik, damals arbeitete er an einem Düsseldorfer Krankenhaus - und erlebte dort, wie eine der ersten großen Corona-Wellen das Gesundheitssystem erreichte. Ganz in der Nähe, im Kreis Heinsberg, hatten sie Karneval gefeiert. Resultat war das erste Superspreader-Event Deutschlands, bald kamen die Ersten mit Atembeschwerden auf die Station von Fuchs. „Es gab viele Ideen, aber wenig gesicherte Fakten, wie wir diese Menschen behandeln sollten“, sagt Fuchs. „Wir alle mussten sehr schnell sehr viel lernen. Heute kann man sagen: Wir haben gelernt.“
Covid-19 war völlig neu
Sehr vieles über das Virus, Sars-Cov2, und die Lungenkrankheit, die es auslöst, Covid-19, war zunächst unbekannt. Also griffen Ärztinnen und Ärzte auf Erkenntnisse zurück, die sie zuvor im Umgang mit anderen Erkrankungen gesammelt hatten.
Zum Einsatz kamen deshalb „fremde“ Medikamente - darunter „Klassiker“ wie Kortison, aber auch Substanzen, die sonst gegen HIV verabreicht werden oder deren Wirksamkeit gegen Coronaviren zuvor nur aus Tierversuchen bekannt war. „Manches musste man einfach ausprobieren, ohne zu wissen, wie und ob es 100 Prozent wirkt“, sagt Infektiologe Fuchs. Das sei heute anders.
Bekannt ist inzwischen, dass Covid-19 in maximal drei Phasen verläuft: Die Krankheit beginnt mit Infektion und Virusvermehrung in den oberen Atemwegen. Ist die erste Immunantwort des Körpers zu schwach, etwa wegen fehlender Antikörper, geht das Virus auf die Lunge über und löst dort eine Lungenentzündung aus.
In der dritten Phase reagiert der Körper darauf mit einer eigenen Entzündungsreaktion, die jedoch außer Kontrolle gerät. Diese „überschießende“ Immunreaktion führt zu den schwersten Verläufen.
Wissen über Covid-19 erlaubt jetzt neue Behandlungen
Das neue Wissen erlaubt den Medizinerinnen und Medizinern, die Behandlungsmethoden anzupassen. „Grundsätzlich gilt: Je früher wir die Erkrankung erkennen und mit möglichen Risikofaktoren abwägen können, desto besser“, sagt UKA-Infektiologe Fuchs. In der ersten Phase, der Virusvermehrung, hätten sich die Möglichkeiten in den vergangenen Monaten deutlich erweitert.
Eine wichtige Rolle spiele inzwischen die Behandlung mit Antikörpern - eine „passive Impfung“ sozusagen. Die Antikörper, per Infusion verabreicht, zielen auf das Spike-Protein des Virus und verhindern, dass es auf der Zelle andocken kann. Werden sie innerhalb der ersten fünf Tage der Erkrankung verabreicht, senken sie das Risiko eines schweren Verlaufs um bis zu 80 Prozent.
Das Manko: Bei Virusmutationen verändert sich meist das Spike-Protein des Virus. Damit müssen für die Behandlung jeder Mutation auch die entsprechenden Antikörper angepasst werden. Häufig wird die Antikörper-Therapie in der frühen Phase mit antiviralen Medikamenten ergänzt, also solchen, die sich gegen das Virus selbst richten.
Das bekannteste ist Remdesivir. Das Medikament stört die Vermehrung der Erbinformation des Virus. Vor der Pandemie wurde es vor allem im Einsatz gegen Ebola evaluiert, allerdings wirkt es auch gegen Covid-19 sehr gut - rechtzeitig verabreicht, werden schwere Verläufe um bis zu 87 Prozent reduziert.
Medikamente gegen Covid-19 auf Rezept?
Große Hoffnungen setzt die Ärzteschaft auf antivirale Medikamente, die per Tablette verabreicht werden können. „Der große Vorteil ist, dass die Patienten das Medikament ganz einfach auf Rezept bekommen und zu Hause einnehmen können“, sagt Infektiologe Fuchs. „Damit wird die Krankenhaus-Infrastruktur deutlich entlastet.“
Mit einer Risikoreduktion von 80 Prozent bis 90 Prozent ist Paxlovid aussichtsreichster Kandidat. Das Medikament, das ebenfalls in die Virusvermehrung eingreift und kürzlich zur Zulassung empfohlen wurde, ist nach Einschätzung von Fuchs „Ende dieser, Anfang nächster Woche verfügbar. Ab Frühjahr wird Paxlovid das am häufigsten eingesetzte Covid-Medikament sein.“
Gerade in der frühen Erkrankungsphase haben sich die Behandlungsspielräume also zuletzt deutlich erweitert. Dafür muss die Krankheit jedoch rechtzeitig erkannt werden. Ist sie bereits fortgeschritten, gilt das Hauptaugenmerk den Entzündungsreaktionen im Körper.
Auch hier dienen andere Krankheiten als „Vorbild“. Rheumaerkrankungen etwa, die sich ebenfalls durch Entzündungsreaktionen auszeichnen, werden bei akuter Symptomatik mit Kortison behandelt. Das bekannte Medikament hilft auch bei Covid - laut Infektiologe Fuchs aber eher als „grobes Geschütz“. Spezifischer, gerade in den früheren Entzündungsphasen, wirke das Medikament Baricitinib, das die Sterblichkeitsrate in Studien um bis zu 20 Prozent senke.
Diese Medikamente gegen Covid-19 werden schon eingesetzt
Etwas später im Entzündungsprozess, wenn der Patient schon zusätzlichen Sauerstoff bekommt, setzt das Medikament Anakinra an. Es wird erst seit knapp zwei Wochen an der Uniklinik Augsburg eingesetzt und reduziert das Sterberisiko bei Risikopatienten nach Studienlage um bis zu 50 Prozent. Großer Vorteil des Medikaments ist, dass es nur rund 16 Stunden im Körper verbleibt und damit präzise dosiert werden kann.
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Anders ist das bei Tocilizumab. Das Medikament, das die Sterblichkeitsrate noch mal um 18 bis 20 Prozent reduziert, ist die „Notbremse“. Es unterdrückt die Entzündungsreaktion bis zu 20 Tage.
Das Problem: Wenn sich in dieser Zeit zusätzlich Bakterien in der Lunge ansiedeln, kann sich der Körper, der „Eindringlinge“ natürlicherweise mit Entzündungen bekämpft, durch das verabreichte Medikament nicht mehr selbst wehren. „Wenn eine bakterielle Infektion hinzukommt, dann ist die Gefahr groß, dass wir den Patienten verlieren“, sagt Fuchs. „Ohne Behandlung hätte er aber meist gar keine Chance.“
Covid-19-Behandlung ist sehr teuer
Die medizinische Bandbreite hat ihren Preis. Ein Tag auf der Corona-Intensivstation kostet nach Einschätzung von Fuchs rund 2000 Euro. Was die neuen Möglichkeiten bewirken, ist aber eindeutig: „Wir können deutlich mehr Menschen retten als früher“, sagt Fuchs. „Wenn wir die Erkrankung früh genug erwischen, dann haben wir jetzt gute bis sehr gute Optionen an der Hand.“ Vereinzelte Engpässe bei Medikamenten würden demnächst behoben.
Davon, dass Corona nun endlich seinen Schrecken verliere, möchte Fuchs aber nicht sprechen. Neben den Impfungen bleibe es wichtig, an Tests festzuhalten, um Infektionen schnell zu erkennen und damit auch die Schwächsten zu schützen, deren Körper keine ausreichende Immunantwort entwickeln könnten. „Dafür brauchen wir einen breiten Schutz in der ganzen Gesellschaft.“ (AZ)
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