Das Poliovirus, im Medizinischen „Poliomelytis“ genannt, ist auch unter dem Namen Kinderlähmung bekannt. Diese Bezeichnung ist allerdings irreführend, da alle Altersgruppen von der Krankheit betroffen sein können. Die Viren gehören zur Gruppe der Enteroviren, welche sich vorwiegend im menschlichen Darm vermehren.
Ursprünglich waren drei Typen des Virus verbreitet, jedoch ist Typ 1 der Einzige, der in manchen Gegenden der Welt noch zirkuliert – etwa in Afghanistan oder Pakistan. In Deutschland wird seit den 1960ern mit Impfungen gegen das Poliovirus vorgegangen, anfangs noch durch Schluckimpfungen. Diese Art von Impfung bringt einen entscheidenden Nachteil mit sich: Da den Menschen so eine Dosis von Viren verabreicht wird um Immunität zu erzeugen, können sich diese Viren durch Ausscheidung potenziell weiterverbreiten und Ungeimpfte anstecken. Deswegen setzt Deutschland seit 1998 auf das Verwenden eines sogenannten Totimpfstoffes mit inaktiven Polioviren. Da eine Schluckimpfung preisgünstiger ist, wird sie allerdings gerade in ärmeren Regionen noch eingesetzt. Somit sind die heute zirkulierenden Polioviren in der Regel Erreger, die vom Impfstoff abstammen, also keine Wildpolioviren. In Deutschland wurde der letzte Fall des Wildtyps 1990 nachgewiesen, seit 2002 gilt Europa als poliofrei.
Wie verbreitet sich das Poliovirus?
Polioviren werden fäkal-oral übertragen und können sich durch Berührungen beziehungsweise sogenannte Schmierinfektionen verbreiten. Dies kann zum Beispiel durch schmutziges Wasser oder verunreinigte Nahrungsmittel passieren und ist deswegen vor allem in Gebieten mit geringeren hygienischen Standards gefährlich. Auch durch die Freisetzung von Tröpfchen, etwa beim Husten oder Niesen, kann Polio übertragen werden. Die Inkubationszeit beträgt meist drei bis 35 Tage, eine Infektion ist nach 36 Stunden nachweisbar. Hierfür eignen sich Stuhl- oder Rachenproben. Solange die Viren ausgeschieden werden, ist der Patient ansteckend. Dies erfolgt im Regelfall in bis zu sechs Wochen, kann aber bei schweren Fällen auch länger dauern.
Was sind die Symptome?
Die meisten Verläufe sind von milder Natur. Dann treten entweder gar keine Symptome auf oder es handelt sich um typische Erkältungsbeschwerden, wie Kopfschmerzen, Halsschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden oder Fieber. Bei schweren Verläufen kann es jedoch zum Virenbefall des Gehirns kommen, wodurch eine Hirnhautentzündung entstehen kann. Das schwerwiegendste Symptom ist die Lähmung: Anders als beim Ramsay-Hunt-Syndrom tritt sie bei Polio aber in Extremitäten wie Händen und Füßen auf. Auch Atemlähmung kann vorkommen, was im schlimmsten Fall zum Tod führt. Tritt eine solche Lähmung einmal auf, ist sie nicht mehr heilbar. Zwar gibt es Therapiemöglichkeiten zur Linderung, aber vollständig bilden sich die Lähmungen nicht zurück. In seltenen Fällen können auch nach einem zunächst milden Verlauf Jahre später noch schwere Symptome auftreten.
Wie ist die aktuelle Lage?
In den USA und Großbritannien wurden diesen Monat erstmals wieder Polioviren im Abwasser gefunden, woraufhin im Bundesstaat New York der Katastrophenfall ausgerufen wurde. Beide Länder haben bereits zu Impfkampagnen aufgerufen und setzen auf Auffrischungsimpfungen. Auch in Israel sind im vergangenen März mehrere Infektionen registriert worden. In Deutschland gilt eine Ansteckung aber nach wie vor als sehr unwahrscheinlich. Es besteht als zunächst kein Grund zur Sorge. Hierzulande empfiehlt die STIKO insgesamt drei Impfungen gegen Polioviren: Zwei im Säuglingsalter, eine weitere zwischen 9 und 17 Jahren. Eine Auffrischungsimpfung ist in der Regel nicht notwendig, außer eventuell vor einer Reise in betroffene Länder. Dennoch ist es ratsam, die Krankheit nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und die Impfquote, die im Moment bei 90% liegt, weiterhin hoch zu halten. So kann einem potenziellen Ausbruch des Poliovirus vorgebeugt werden.