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Welche Therapie ist ethisch vertretbar?

Umgang mit Schwerstkranken

Welche Therapie ist ethisch vertretbar?

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    Die Entscheidung für oder gegen weitere Therapien bei Schwerstkranken bringt Angehörige und medizinisches Personal oft in ethische Konflikte. Hier will ein Augsburger Verein helfen.
    Die Entscheidung für oder gegen weitere Therapien bei Schwerstkranken bringt Angehörige und medizinisches Personal oft in ethische Konflikte. Hier will ein Augsburger Verein helfen. Foto: H_Ko, stock.adobe.com

    Ist das noch ein würdevolles Leben? Diese Frage stellen sich manche, wenn die eigene Großmutter, der eigene Vater alle geistigen Fähigkeiten verloren hat, sich nicht mehr selbst äußern, nur noch liegen kann und rund um die Uhr auf intensive Pflege angewiesen ist.

    Welche medizinische Therapie ist dann die richtige? Aber auch Angehörige von Menschen mit einer sehr schweren psychiatrischen Erkrankung stehen oft vor der Frage: Welche Zwangsmaßnahme ist noch vertretbar? Und was ist eigentlich zu tun, wenn Schwerstkranke, die keine Hoffnung mehr auf Heilung haben, freiwillig auf Essen und Trinken verzichten, sich für das sogenannte Sterbefasten entscheiden?

    Nicht jede Therapie muss noch gemacht werden

    Es sind ausgesprochen schwierige Fragen, in denen es um elementare Werte wie Würde, Freiheit, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung geht - und die Menschen an ihre Grenzen führen. Es sind aber auch Fragen, die Beschäftigte im Gesundheitsbereich oft täglich ganz konkret beantworten müssen: Soll die Magensonde noch gelegt werden oder nicht? Soll die Patientin, der Patient weiter beatmet werden oder nicht? Auch Angehörige werden mit diesen extrem belastenden Fragen konfrontiert, gerade wenn keine Patientenverfügung vorliegt.

    Dr. Tilman Becker kennt diese Fragen und das aus ihnen resultierende Dilemma nur zu gut. Zusammen mit anderen Ärztekollegen, Pflegekräften, Klinikseelsorgern und anderen Mitarbeitenden im Gesundheitswesen hat der 58-Jährige 2009 das Augsburger Forum für Ethik in der Medizin, kurz afem, gegründet, dessen Vorsitzender er ist und das heute 32 Mitglieder zählt.

    Ethische Fragen brauchen Unterstützung

    Es ist ein Verein, der nicht nur Beschäftigten im Gesundheitsbereich eine Möglichkeit zum Austausch geben möchte. Auch Angehörige, die vor schwierigen medizinisch-ethischen Entscheidungen stehen, können sich an den Verein wenden. "Der Bedarf für Unterstützung, wenn es um ethische Fragen in der Medizin geht, war schon immer sehr hoch", sagt der Neurologe. Mit dem ständig wachsenden medizinischen Fortschritt steige er natürlich.

    Ins Leben gerufen wurde das Forum nach einem Kurs zu dem medizinethischen Entscheidungsmodell "MEFES". Eine Abkürzung, die für multidisziplinäre ethische Fallbesprechung in schwierigen Entscheidungssituationen steht. Es ist ein moderiertes gemeinsames Gespräch mit allen, die an der Behandlung des erkrankten Menschen beteiligt sind - also beispielsweise mit der Pflegekraft ebenso wie mit dem Physiotherapeuten und der Ärztin.

    Welche Therapie würde der Patient/die Patientin noch wollen?

    Ziel ist es, herauszufinden, was sich die Patientin beziehungsweise der Patient in dieser Situation wünschen würde. Und dafür sei jeder kleine Hinweis aus dem täglichen Umgang hilfreich, sagt Becker, der früher als Oberarzt am jetzigen Universitätsklinikum Augsburg gearbeitet und dort die Schlaganfall-Spezialstation aufgebaut und geleitet hat.

    "Auch sollen mit diesem strukturierten Vorgehen die ethischen Aspekte aus dem Bauchbereich herausgeholt und Fakten auf den Tisch gelegt werden", erläutert Becker, der schon oft solche Fallbesprechungen in Kliniken moderiert hat. Dass dies alles Zeit kostet in einem Gesundheitssystem, in dem gerade Zeit ein knappes Gut ist, stimmt zwar, räumt Becker ein. Doch so ein klarer Entscheidungsprozess, der die vielen Gespräche im Behandlungsalltag bündelt, sei insgesamt oft eine Zeitersparnis.

    Ethikberatung oft von Klinikleitung gewünscht

    Außerdem legen immer mehr Klinikleitungen auf eine Ethikberatung Wert, da ein guter Umgang mit ethischen Fragen längst zum Qualitätsmerkmal für medizinische Einrichtungen geworden sei.

    Der Verein hat sich aber auch vorgenommen, aktuelle Themen aufzugreifen und vor allem zu diskutieren. Sind die sogenannten "Ethik-Cafés" den Mitarbeitenden im Gesundheitswesen zum Austausch vorbehalten, finden auch regelmäßig für alle Interessierten zugängliche Veranstaltungen statt. Zuletzt aufgrund der Pandemie natürlich nur online. (AZ)

    Weitere Infos zum afem.

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