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Diagnose Hodenkrebs: Interview mit Raimund Seibold

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Diagnose Hodenkrebs: Interview mit Raimund Seibold

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    Raimund Seibold spricht im Interview offen über seine Hodenkrebs-Diagnose.
    Raimund Seibold spricht im Interview offen über seine Hodenkrebs-Diagnose. Foto: (C) Rudolf Langemann

    „Diagnose Hodenkrebs“ lauten die ersten Worte eines Posts, der bei LinkedIn innerhalb kürzester Zeit für sehr viel Aufmerksamkeit sorgt. Raimund Seibold, Co-Founder und Geschäftsführer der INNOIT GmbH in Augsburg, teilt in dem Beitrag nicht nur offen seine eigene Krankheitsgeschichte, sondern appelliert auch an alle Männer, ihre Gesundheit ernst zu nehmen.

    Wie kam es zu deiner Hodenkrebs-Diagnose?

    Raimund: Ich habe den Knoten selbst ertastet. Das war also nicht im Zuge einer Vorsorgeuntersuchung, sondern in einer Alltagssituation. Daraufhin habe ich natürlich gleich gegoogelt und 99 Prozent der Online-Diagnosen lauteten: Hodentumor. Aber weil die Prostatakrebsvorsorge für dieses Jahr sowieso schon auf meiner To-do-Liste stand, habe ich zumindest mal den Termin beim Urologen ausgemacht. Da ich privatversichert bin, betrug die Wartezeit auch nur vier Wochen. In der Zwischenzeit habe ich den Knoten immer wieder abgetastet. Meine Hoffnung war natürlich, dass er kleiner wird und wieder ganz verschwindet.

    Das Blöde war allerdings, dass ich einen Chile-Urlaub geplant hatte, deswegen wollte ich unbedingt früher Gewissheit haben. Ich habe immer wieder beim Urologen angerufen, und es war ein ewiges Hin und Her, bis ich tatsächlich durchgekommen bin. Als ich erzählt habe, dass ich da was ertastet hätte, hieß es zum Glück gleich, ich solle am nächsten Tag vorbeikommen. Ich ging zum Ultraschall und dabei sagte der Arzt etwas, das ich nie wieder vergessen werde: „Gut, dass Sie da sind. Sie haben Hodenkrebs.“

    Was hat das in dir ausgelöst?

    Raimund: Mich hat das Ganze zwar nicht komplett aus der Bahn geworfen, aber ich stand schon etwas neben mir und dachte: Okay. Alles, was ich in den letzten Tagen gegoogelt habe, hat sich bewahrheitet. Doch der Urologe hat mich sehr schnell eingefangen: „Das hört sich jetzt schlimmer an, als es ist. Man kann den Tumor sehr gut operieren und behandeln. An so einer Diagnose stirbt man heutzutage eigentlich nicht mehr.“

    Er hat mir erklärt, dass solche Tumore vor allem bei jungen Männern wachsen, die in der Regel ein gutes Immunsystem haben. Trotzdem hat er sofort einen OP-Termin für die nächste Woche organisiert, Blut abgenommen und mir empfohlen, zur Kinderwunschklinik zu gehen – denn eine Chemo könnte die Fruchtbarkeit beeinflussen.

    Ab diesem Zeitpunkt hatte ich dort regelmäßig Termine, und natürlich habe ich auch mit meiner Freundin über die Diagnose gesprochen. Anfangs hat das unseren Alltag stark beeinflusst, aber wir haben uns an die positiven Worte des Urologen geklammert.

    Was passierte bei der OP?

    Raimund: Die OP war tatsächlich sehr unspektakulär. Morgens hin, ein paar Stunden später durfte ich nach Rücksprache mit dem Arzt schon wieder nach Hause. Der Tumor wurde mitsamt dem Hoden entfernt. Zurück blieb ein größerer Cut in der Leistengegend – vergleichsweise harmlos, da hatte ich schon schlimmere Verletzungen beim Sport erlitten.

    Als nächstes kam die Biopsie sowie die Auswertung der Blutwerte und des CTs, die darüber entscheiden, ob man eine Chemo braucht und wie die Nachsorge aussehen wird. Mir wurde dann relativ schnell mitgeteilt, dass keine Tumormarker im Blut zu finden seien.

    Was waren deine größten Ängste?

    Raimund: Eine meiner größten Sorgen war eigentlich nicht die OP selbst, sondern dass ich eine Chemo machen muss. Einerseits treibe ich viel Sport und bin beruflich sehr engagiert. Darauf wollte ich nicht drei Monate lang verzichten müssen. Andererseits ist das Thema Chemo in meiner Familie leider sehr präsent. Mein Vater ist an Krebs gestorben. Meine Mutter hat die Therapie nachhaltig geschwächt und deutliche Spuren bei ihr hinterlassen.

    Meine guten Blutwerte machten mir zwar Mut, doch die Sorgen begleiteten mich, bis der Befund aus der Pathologie da war. Ganze zwei Wochen ließ er auf sich warten. Ich kann bis heute nicht nachvollziehen, wie das so lange dauern konnte. Vor allem, wenn es darum geht, ob eine Chemo notwendig ist und ob der Tumor womöglich gestreut hat. Glücklicherweise konnte mein Urologe mir schließlich Entwarnung geben: Höchstwahrscheinlich keine Metastasen. Bis jetzt sieht alles gut aus. Das anschließende CT bestätigte diese Diagnose.

    Wie ist es für dich, mit anderen Betroffenen im Austausch zu sein?

    Raimund: Viele Betroffene waren erstaunt darüber, wie ich mit der Situation umgehe. Klar, ich bin der extrovertierte Typ, stehe öfter auf Bühnen, gebe Interviews und bin es gewohnt, darüber zu sprechen, was mich bewegt. Ich habe schon immer meine Erfolge wie auch meine Misserfolge kommuniziert.

    Umso mehr hat es mich schockiert, wie sich manche Männer nach einer Hodenkrebs-Diagnose abschotten oder psychische Probleme bekommen – unter anderem auch, weil sie sich deshalb weniger „männlich“ fühlen.

    Mir selbst hat die positive Einschätzung meines Urologen sehr geholfen. Zudem gibt es viele Beispiele von Profi-Fußballern, die nach einer Chemo wieder Bundesliga spielen – das hat mir Kraft gegeben.

    Wird dich das Thema auch langfristig beschäftigen?

    Raimund: Ja, das Thema bleibt präsent – allein wegen der engmaschigen Nachsorge. Ich habe jetzt alle drei Monate Kontrolluntersuchungen, die im Laufe der Jahre seltener werden. Außerdem erinnert mich die Narbe in der Leiste täglich daran.

    Mir liegt aber auch am Herzen, mehr Bewusstsein für Vorsorgeuntersuchungen zu schaffen. Es fehlt so sehr an Awareness. Movember ist ein guter Anfang, aber das reicht noch nicht. Dass Männer regelmäßig ihre Hoden abtasten, sollte so selbstverständlich sein wie Zähneputzen. Und vor allem: Männer müssen lernen, über Schwächen zu reden.

    Ich hoffe, dass ich mit meinem LinkedIn-Post, der knapp 300.000 Leute erreicht hat, etwas bewirken konnte. Wenn nur die Hälfte der Zielgruppe – also Männer – sich einmal kurz abgetastet hat, dann war das schon ein Erfolg. Ich hoffe natürlich, dass niemand etwas gespürt hat. Aber wenn einer dabei war, der dadurch Wochen gewonnen hat und vielleicht keine Chemo braucht, dann freut mich das sehr.

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