Seit Jahrzehnten wird für die Gleichberechtigung aller Geschlechter gekämpft – doch in der Medizin kann es von Vorteil sein, Frauen und Männer ungleich zu behandeln. Sowohl das biologische Geschlecht (englisch: „sex“) als auch das soziale Geschlecht (englisch: „gender“) können beeinflussen, welche Krankheiten auftreten, wie schnell diese diagnostiziert werden und wie sie am besten behandelt werden sollten.
Die Gendermedizin untersucht den Einfluss des Geschlechts auf die Medizin und hat zum Ziel, die Versorgung für alle zu verbessern. Denn anders als oft angenommen, konzentriert sich die geschlechtsspezifische Medizin nicht nur auf Frauen. Auch Männer leiden unter dem aktuellen Status Quo. Während Frauen häufiger unerwünschte Nebenwirkungen bei Medikamenten wahrnehmen oder körperliche Beschwerden bei ihnen oftmals fälschlicherweise als psychosomatisch gedeutet werden, werden Depressionen bei Männern seltener erkannt und ihre Lebenserwartung ist in Deutschland deutlich geringer.
Der Mann als Standard: So wurden Frauen jahrzehntelang in der Medizin benachteiligt
Ein großes Thema in der Gendermedizin ist die unterschiedliche Wirkung von Medikamenten. Beispielsweise wirken viele Schmerzmittel bei Frauen stärker, gleichzeitig ist das Risko für Nebenwirkungen höher. Untersucht wurde die geschlechtsspezifische Wirkung bisher nur bei vereinzelten Medikamenten. Dabei wäre viele Forschung nachzuholen:
Über viele Jahrzehnte waren Frauen in Studien für neue Medikamente deutlich unterrepräsentiert oder wurden sogar explizit ausgeschlossen. Der weibliche Zyklus hat erwiesenermaßen Einfluss auf Krankheiten oder die Wirkung von Medikamenten, doch das wird in Studien mit rein männlichen Teilnehmern nicht beachtet. Zugelassen werden die Arzneimittel dann aber für alle und somit auch für Frauen mit einem Zyklus, der Einfluss auf die Wirkung der Medikamente hat – was aber nie untersucht wurde. Dass hier die Gesundheit von Frauen riskiert wurde und noch immer wird, ist offensichtlich.
Beispiele für Gendermedizin – hier gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede in der Medizin
In der Gendermedizin wurden bereits einige Bereiche identifiziert, in denen es Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Eine Auswahl:
- Frauen haben ein stärkeres Immunsystem, leiden jedoch häufiger an Autoimmunerkrankungen.
- Ein Herzinfarkt wird bei Frauen später erkannt und sie sterben öfter daran.
- Doch Männer sterben häufiger am plötzlichen Herztod.
- ADHS und Autismus werden bei Frauen häufig falsch diagnostiziert oder übersehen.
- Ältere Frauen leiden an einer schlechteren Nierenfunktion als Männer im gleichen Alter.
- Männer gehen seltener zu Vorsorgeuntersuchungen.
- Deutlich mehr Frauen erkranken an Osteoporose.
- Frauen leiden öfter an Harnwegsinfektionen.
- Männer starben häufiger an Covid-19, doch Frauen entwickelten doppelt so oft Spätfolgen wie Long Covid.
Trotz der vielen bereits erforschten Beispiele, in denen ein großer medizinischer Unterschied zwischen den Geschlechtern aufgezeigt wird, spielt die Gendermedizin in Lehrbüchern keine Rolle oder wird im Medizinstudium oft nicht gelehrt. Es bleibt zu hoffen, dass sich das in Zukunft ändert, sodass jedem Menschen die beste medizinische Versorgung gewährleistet werden kann – unabhängig vom Geschlecht.
Aktuell konzentriert sich die Gendermedizin vorwiegend auf traditionelle Geschlechtsunterschiede, weshalb in diesem Artikel meist von den Kategorien Frau und Mann gesprochen wird. Doch langsam werden auch non-binäre Geschlechtsidentitäten in der geschlechtsspezifischen Medizin stärker beachtet.