Frauen wurden und werden in der Medizin über Jahrzehnte benachteiligt. Das hat Auswirkungen auf Diagnose, Behandlungsmöglichkeiten und Heilungschancen verschiedener Krankheiten. So wird ein Herzinfarkt bei Frauen deutlich später erkannt und sie leiden häufiger unter Nebenwirkungen von Medikamenten. Diese Ungerechtigkeiten untersucht die Gendermedizin.
Ein Grund für die vermehrten Nebenwirkungen ist, dass Arzneimittel bei Frauen oft überdosiert werden, denn die tatsächlich notwendige Dosis wurde nie getestet. Denn Frauen wurden in medizinischen Studien lange vernachlässigt oder sogar systematisch ausgeschlossen. Das hat mehrere Gründe:
- Gefahr bei einer unentdeckten Schwangerschaft für den Embryo
- Hormonschwankungen im weiblichen Körper
- Vergleichbarkeit der aktuellen Studien mit früheren
Tatsächlich werden aus den gleichen Gründen auch Tierversuche mit deutlich mehr männlichen als weiblichen Tieren durchgeführt. Die Ergebnisse werden dann auf alle Geschlechter übertragen – ohne zu überprüfen, ob das Arzneimittel geschlechterspezifisch wirkt. Doch zunächst einmal zu den Ursachen für dieses Problem.
Weil Frauen schwanger werden können, wurde kein Medikament an ihnen getestet
Noch immer ist vielen Menschen der Contergan-Skandal aus den 1960er-Jahren präsent. Das als harmlos geltende Schlafmittel schädigte ungeborene Kinder, wenn es während der Schwangerschaft eingenommen wurde. Danach war bei vielen Forschenden die Angst zu groß, Medikamente an Frauen zu testen, denn diese könnten unerkannt schwanger und der Embryo dadurch geschädigt werden. So schloss man gebärfähige Frauen kategorisch von Medikamentenstudien aus.
Als in den 1990er-Jahren langsam bekannt wurde, dass viele Medikamente bei den verschiedenen Geschlechtern unterschiedlich wirken, wurden ab 1994 zuerst in den USA und später auch in Europa, ausdrücklich Frauen in medizinischen Studien verlangt, wenn das Medikament später für sie zugelassen wird.
Ein Schritt in die richtige Richtung, doch auch heute werden Frauen in der Regel nur in Studien zugelassen, wenn sie nachweislich doppelt verhüten – selbst, wenn kein Kinderwunsch vorhanden ist. Doppelt verhüten bedeutet meist Pille und Kondom zu verwenden. Dadurch werden aber Frauen von Studien ausgeschlossen, die nicht hormonell verhüten und dadurch einen natürlichen Zyklus haben.
Zyklus, Schwangerschaft & Wechseljahre – Hormone haben Einfluss auf die Wirkung von Medikamenten
Doch auch ohne Verhütungshormone treten bei Frauen hormonellen Schwankungen während des Zyklus, der Schwangerschaft und der Wechseljahre auf, die Einfluss auf die Wirksamkeit von Medikamenten haben. Dadurch wird es für Forschende komplizierter, weibliche Probandinnen in Studien einzubinden. Denn um die besten Ergebnisse zu erzielen, müsste beispielsweise die Zyklusphase mitbetrachtet werden. Das passiert in der Praxis selten.
Doch ebenso wie der weibliche Zyklus Einfluss auf die Medikamentenwirkung in Studien hat, hat er auch Einfluss auf die Medikamentenwirkung im täglichen Leben. Wenn dieser Einfluss jedoch nicht in Studien untersucht wird, können Frauen auch nach Zulassung nicht davon ausgehen, dass das Medikament zuverlässig in jeder Zyklusphase wirkt. So wäre es sinnvoll – wenn auch aufwendiger und teurer – Arzneimittel in verschiedenen Frauengruppen zu testen, denn das Medikament wird in der Regel auch für alle diese Gruppen zugelassen.
Vergleichbarkeit der Studien wird schwieriger
Nicht nur hormonelle Schwankungen bei Frauen erschweren die Vergleichbarkeit von Studienergebnisse. Auch neue Studien lassen sich mit alten schlecht vergleichen. Denn über Jahrzehnte hinweg wurden Daten fast ausschließlich an jungen Männern gesammelt. Wenn heute alle Geschlechter an Studien teilnehmen, können die Ergebnisse nur eingeschränkt mit Ergebnissen früherer Studien verglichen werden.
Frauen nehmen immer noch Medikamente, die nur an Männern getestet wurden: So ist die Situation heute
Seit 2004 muss die Wirkung an Frauen und Männer in Medikamentenstudien getrennt untersucht werden. Das Problem: Die meisten Medikamente, die heute eingenommen werden, wurden schon vor 2004 zugelassen.
Auch das Geschlechterverhältnis in medizinischen Studien ist in der EU seit 2022 vorgegeben. Es sollte sich daran orientieren, wie viele Frauen und Männer an der Krankheit leiden, gegen die das Medikament helfen soll. Dennoch sind viele Medikamente auf dem Markt und werden regelmäßig von Frauen eingenommen, obwohl sie in den Studien für das Medikament gar nicht miteingeschlossen waren.