Seit über 70 Jahren findet gerade wieder ein Krieg in Europa statt, der das westliche Verteidigungsbündnis in Alarm versetzt und zu Massenflucht führt. Die Ereignisse in der Ukraine lösen auch in Deutschland bei vielen Menschen Angst und Hilflosigkeit aus. Professor Dr. med. Harald Gündel von der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) erklärt, wie man mit den belastenden Gefühlen am besten umgehen kann.
Am 24. Februar 2022 hat Russland die Ukraine angegriffen. Die Invasion stellt einen tiefen Einschnitt in der neueren europäischen Geschichte dar, zumal Russlands Präsident Wladimir Putin den Einsatz atomarer Waffen ins Spiel brachte. „Eine solche existentielle Bedrohung durch Gewalt und Krieg in Europa kennt unsere Generation nicht, auch wenn sie zum Menschsein wohl dazugehört“, sagt DGPM-Experte Gündel. „Dieses Ereignis bedeutet für uns alle, dass wir Besorgnis oder auch Ängste entwickeln. Wir fühlen uns ausgeliefert gegenüber Abläufen und Entscheidungen, die wir nicht selbst beeinflussen können.“
Tipps gegen die Angst vor dem Krieg
Wie aber geht man mit diesen bedrückenden Emotionen am besten um? „Bloß nicht das eigene Leben anhalten und in der Angst verharren“, rät Gündel, der als Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitäts-Klinikum Ulm tätig ist. „Es ist sicher oft besser, sich auf das zu konzentrieren, was man in seinem unmittelbaren Umfeld gestalten kann, und so viel Normalität wie möglich im Alltag zu bewahren.“
Resilienz trainieren: Dabei hilft uns Resilienz – die menschliche Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen. „Wie wir inzwischen aus der Forschung wissen, existiert kein spezielles Resilienz-Gen“, erläutert Gündel. „Jede und jeder arbeitet täglich an dieser psychischen Widerstandskraft. Man trainiert sie, indem wir so viel wie möglich etwas tun, uns mit etwas beschäftigen, was uns in unserem eigenen Erleben Sinn und Kraft gibt.“
Nachrichten dosieren: Dazu, zur Selbstfürsorge, gehört auch der richtige dosierte Umgang mit Nachrichten aus dem Kriegsgebiet. „Wir sollten uns fragen: Wieviel Informationen tun mir gut?“, betont Gündel. Vielen Menschen genüge es, sich morgens und abends einmal zu informieren. Klar ist: „Innere Unruhe, Schlafstörungen und die Unfähigkeit, sich auf den Alltag konzentrieren zu können, können Zeichen eines beginnenden seelischen Ungleichgewichts sein – und vielen Menschen hilft es in diesem Zusammenhang, weniger potentiell beunruhigende Nachrichten zu konsumieren“, sagt Gündel.
Austausch hilft gegen die Angst
Besonders hilfreich bei der Bewältigung von Ängsten ist der zwischenmenschliche Austausch. „Ängste zu benennen, darüber mit anderen, nahestehenden Menschen zu sprechen, stellt einen wichtigen ersten Schritt dar“, erläutert der DGPM-Experte. Vereinzelung hingegen verstärke negative Gefühle noch. „In einer Gruppe eingebunden zu sein, sich in tragende Beziehungen zu begeben, wirkt heilsam, das ist aus der Traumabewältigung bekannt“, so Gündel. Nehmen Angstzustände überhand, sollten Betroffene sich professionelle Hilfe suchen.
Doch egal, wie finster eine Situation erscheint, ein zentraler Begriff aus der Psychotherapie bringt Entlastung: Akzeptanz. Harald Gündel erklärt, was das bedeutet: „Wenn ich weiß, dass ich gegen eine Situation nicht direkt vorgehen kann, sie gar nicht oder nur begrenzt beeinflussen kann, hilft es, sie auch innerlich anzunehmen. Und natürlich kann dann eine optimistische oder spirituelle Haltung Zuversicht geben – das wissen wir aus unserer langen Geschichte.“ (pm)
Hier finden Sie weitere Tipps, um positiv zu denken. Lesen Sie hier außerdem, wie man am besten mit Angst umgeht.