Herr Busch, wir sind mittendrin in diesen seltsamen Zeiten. Corona scheint immer mehr Menschen schwer zu belasten. Was passiert mit denen?
Dr. Volker Busch: Das stimmt. Die allgemeine Belastung ist spürbar und mit ihr auch die Erschöpfung, die sich langsam breitmacht. Am stärksten belastet die Menschen, dass die Zeit so unsicher ist und kaum Prognosen möglich sind - weder für die eigene Gesundheit noch die berufliche Zukunft. Selbst ganz profane Dinge wie die Urlaubsgestaltung lassen sich nicht planen.
Was macht dies mit unserem Gemüt und unserer Psyche?
Busch: Wenn Menschen unsicher sind, dann sind sie auch weniger belastbar und insgesamt empfindsamer. Das führt auch dazu, dass sich Ängste stärker ausbreiten. Die waren bisher vielleicht eher im Hintergrund und drängen jetzt auf der Bühne ganz nach vorne.
Das zeigt sich in vielerlei Hinsicht. Die Menschen schwitzen, haben Herzrasen und können nicht mehr schlafen. Es kann sich aber auch in Form von Aggressionen zeigen. Menschen werden reizbarer und opponieren. Sie wehren sich gegen alles Mögliche.
Ängste wirken sich auf Körper und Seele aus
Und Angst kann sich auch in Form von psychosomatischen Beschwerden äußern. Das können Probleme mit der Verdauung sein oder bei der Sexualität oder der Konzentration. Angst kann viele Folgen auf Körper und Gehirn haben. Man sagt ja, Angst hat viele Gesichter, aber Angst ist auch die gemeinsame Ursache für Formen der Belastung durch die Krise.
Dabei ist doch Angst für den Menschen, entwicklungsgeschichtlich gesehen, überlebenswichtig.
Busch: Absolut. Angst hat Signalcharakter. Sie sagt etwas darüber aus, was einem wichtig ist. Wenn ein Krankenpfleger beispielsweise Angst hat, sich bei einem Patienten anzustecken, dann wird er sich möglicherweise sorgfältiger die Hände waschen. Hier hat die Angst also eine nützliche Funktion.
Aber Angst ist dann hinderlich, wenn sie uns in ihrer Intensität in einer Art Klammergriff hält. Wenn sie uns ohnmächtig macht, dann schlägt sie ins Gegenteil um. Das erleben wir momentan bei einer Reihe von Menschen, die zum Beispiel aus Angst vor einer Infektion oder einer Impfung so stark in einem Klammergriff sind, dass sie von außen kaum noch korrigiert werden können.
Wie ist das derzeit bei militanten Impfgegnern?
Busch: Angst erfährt in der Regel ein Korrektiv durch unseren Verstand. Wir können unsere Ängste reflektieren, wir können sie hinterfragen und wir können Gegenargumente finden. Das gelingt uns, wenn die Angst klein ist, beziehungsweise solange wir psychisch gesund sind.
Wachsen die Ängste, werden Menschen zu Opfern
Wenn die Angst aber übermächtig groß wird, dann wir es immer schwieriger, ihr den Verstand entgegenzusetzen. Genau das sehen wir bei einer Reihe von Menschen, die Opfer ihrer Angst sind, sodass sie von alleine da nicht mehr rauskommen. Sie zweifeln an allem, entwickeln auch eine Skepsis gegenüber den klassischen Medien und dem politischen System.
In Ihrem Buch „Kopf frei!“ befassen Sie sich auch mit Themen wie Reizüberflutung und digitalem Wahnsinn. Die tägliche Dauer der Internetnutzung lag bei Testpersonen einer repräsentativen Studie bei mehreren Stunden. Was passiert da mit einem?
Busch: Wir nehmen heute pro Tag unglaublich viele Informationen auf. Jedes Jahr steigt der Konsum um mehr als zwei Prozent. Die Gefahr liegt darin, dass die in ihnen enthaltenen Botschaften uns verunsichern, verwirren und aufwühlen. Wir wissen heute, dass ein Übermaß an Informationen, wie sie durch das Internet zur Verfügung gestellt werden, nicht etwa Sicherheit auslöst, sondern Angst.
Ängste entstehen durch zu viele verschiedene Informationen
Das haben wir in der Pandemie gesehen. Sie war auch eine Kommunikationskrise. Die Politik war sich uneins, auch die Medien berichteten unterschiedlich. Jeder sagte was anderes. Das führt bei Menschen, die sowieso in einer argwöhnischen Stimmung sind, nicht zu einer Beruhigung, sondern zu Skepsis und Argwohn. Das ist der Fluch der Information. Wir ersticken schnell in einem Ozean an Informationen, die wir nicht sinnvoll nutzen können. Das führt zu einer Belastung, weil sich unsere Köpfe verstopft anfühlen und unsere Entscheidungen verschlechtert.
Welche Folgen hat das?
Busch: Das führt dazu, dass sich immer mehr Menschen heute in eigenen sozialen Netzwerken wie zum Beispiel Telegram organisieren. Da sind Gleichgesinnte, die genau das sagen, was man erwartet und was man ähnlich denkt und fühlt. Das macht die Welt wieder klar und nimmt ihr die Komplexität. Das ist wie am Stammtisch oder im Gottesdienst. Menschen, die an das gleiche glauben und ihre Überzeugungen ähnlich äußern, tun uns einfach gut.
Ist das nun positiv oder eher nicht?
Busch: Ja, das ist zunächst positiv. Es ist eine Form der Solidarität. Und das Gefühl ist so berauschend, dass Menschen sogar bereit sind, Lügen zu akzeptieren. Es gibt in der Psychologie einen Leitsatz, der lautet: Menschen lieben die Sicherheit mehr als die Wahrheit. Das heißt, ich kann auch an noch so bizarre Weltbilder glauben, wenn ich mich dadurch sicher fühle. Das sehen wir jetzt in der Corona-Pandemie auch.
Davon einmal abgesehen empfinden viele ein Zuviel, ein Alles-auf-einmal. Dies verursacht auch Stress …
Busch: Unser Gehirn kann prinzipiell sehr viel speichern. Das Problem ist, um in den Langzeitspeicher zu kommen, müssen die Informationen durch ein Nadelöhr, den Aufmerksamkeitsraum. Das ist wie eine Art Warteraum für Informationen. Hier entscheidet sich, ob eine Information es wert ist, langfristig gespeichert zu werden.
Je mehr Informationen umso weniger merkt man sich
Das heißt, wenn wir riesige Mengen an Informationen wenig aufmerksam konsumieren, werden viele von ihnen gleich wieder gelöscht. Wir merken uns einen Film, den wir im Kino mit voller Aufmerksamkeit anschauen, erfahrungsgemäß auch besser als einen Film daheim vor dem Fernseher, bei dem wir nebenbei mit dem Tablet shoppen.
Wie geht man damit um?
Busch: Das bedeutet, man sollte sorgfältig selektieren, was gerade die volle Aufmerksamkeit verdient. Insbesondere, wenn man von Aufmerksamkeitsräubern umzingelt ist, sollte man sich immer die Frage stellen: Wem oder was will ich jetzt meine volle Konzentration schenken? Was ist wichtig und was nicht? Zu welcher Handlung entscheide ich mich?
Mensch kann Ablenkungen widerstehen und sich fokussieren
Das kann übrigens nur der Mensch. Eine Maus reagiert instinktiv auf Reize ihrer Umgebung und kann sich kognitiv nicht steuern. Wir können Ablenkungen widerstehen und uns zugunsten eines höheren Ziels auf das Relevante und Wichtige fokussieren. Das macht uns erfolgreich, auch wenn es durchaus schwerfallen kann, seine Aufmerksamkeit immer wieder zurückzuerobern.
Sie empfehlen als Gegenmittel sogenannte „Tiefe Stunden“.
Busch: Die „Tiefe Stunde“ bietet einen geeigneten Rahmen, um Konzentration zu ermöglichen. Das heißt: Ich fokussiere mich in dieser Stunde auf das, was gerade wichtig ist. Alles andere blende ich aus. Wenn man sich die „Tiefe Stunde“ fest in seinen Tagesablauf schreibt und sie konsequent einhält, wird man sie leichter einhalten und es fällt einem im Verlauf dieses täglichen Trainings zunehmend leichter, sich zu konzentrieren. Konzentration macht nicht nur leistungsfähiger, sondern reduziert auch den Stress im Alltag.
Was kann man noch machen, damit unser Gehirn leistungsstark bleibt?
Busch: Wir brauchen heutzutage unbedingt Momente, in denen wir uns von der Außenwelt entkoppeln, sozusagen die digitale Nabelschnur einmal kurzzeitig durchtrennen. Dann entsteht ein Raum, in dem wir zu uns finden, in dem wir bestimmte Dinge nachdenken können, ohne uns die ganze Zeit durch Informationen anstacheln, antreiben oder emotional aufladen zu lassen.
Öfter Pausen einlegen und Dinge sacken lassen
Plötzlich hören wir wieder die eigene innere Stimme, die wir den lauten Stimmen der Außenwelt entgegensetzen können, und wir fühlen, was richtig ist und was uns guttut. Die digitale Entkopplung macht uns im Kopf oft wieder ganz klar. In Ruhe und Stille beruhigen sich auch die Ängste. Und wir entwickeln kreative Ideen. Plötzlich finden wir Lösungen für Probleme.
Also einfach mal offline bleiben und beispielsweise in den Wald gehen und die Dinge sacken lassen. Klarheit bekommen wir nur im Kontakt zu uns selbst und nicht vor dem Fernseher. (AZ)